30 Jahre Bezirk Hohenschönhausen
Zugegeben: Hohenschönhausen ist schon wesentlich älter, wurde schließlich schon 1352 erstmalig in einer Urkunde erwähnt. Aber bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fristete das dörfliche Hohenschönhausen ein kaum beachtetes Dasein am Rande der sich entwickelnden Großstadt Berlin.
Ein Rittergut und mehrere Bauerngüter prägten etwa 600 Jahre das landwirtschaftliche Profil des Dorfes. Erst besaß die Adelsfamilie von Röbel das Rittergut 200 Jahre lang, ehe es 1736 in bürgerliche Hände überging. Friedrich Scharnweber, der engste Mitarbeiter des Reformers Carl August von Hardenberg, und sein Sohn Georg Scharnweber (50 Jahre Landrat im Kreis Niederbarnim) besaßen das Rittergut über 50 Jahre und hatten großen Anteil an der Entwicklung Preußens im 19. Jahrhundert. Aber mit dem Wachsen dieser Stadt wurde nach 1875 auch Hohenschönhausen mit der Entwicklung der Rieselfelder, der Parzellierung des Guts- und Gemeindelandes, dem Bau von Wohnhäusern und Industriebetrieben in den Strudel der Entwicklung gezogen.
Am Ende des 19. Jahrhunderts wuchs Hohenschönhausen durch den Aufbau neuer Industriebetriebe mit Berlin immer mehr zusammen. Neben der Industrie entstanden an der Peripherie des Ortes neue Wohngebiete. Es siedelten sich Handwerker und Lohnarbeiter an, die hier billigere Wohnungen fanden als in der Stadt. Die Einwohnerzahl stieg von 1870 bis 1920 von 1.000 auf über 6.000 an. Der Ortsteil entwickelte sich vom Bauerndorf zu einem wichtigen Industriestandort. Diese Zeit ist auch gekennzeichnet durch den Bau von wichtigen Verkehrseinrichtungen, z.B. der elektrischen Straßenbahn (1899), der Industriebahn von Tegel über Hohenschönhausen nach Friedrichsfelde (1907), dem Ausbau des Berliner Weges zur viel befahrenen Berliner Straße (heute Konrad-Wolf-Straße).
Mit der Bildung von Großberlin im Jahre 1920 verlor Hohenschönhausen seine Selbständigkeit und gehörte nun nicht mehr zum Kreis Niederbarnim, sondern zum Stadtbezirk Weißensee von Berlin. Auch in den folgenden Jahren blieb Hohenschönhausen ein Aufbaugebiet. Firmen wie die Maschinenfabrik und Kesselschmiede Heike, die Zuckerwarenfabrik von Georg Lembke und die Löwenbrauerei Hohenschönhausen wurden in ganz Deutschland bekannt. Einen besonderen Platz in der Industriegeschichte des Ortes nimmt Paul Schmidt ein. Er schuf mit der Erfindung der Trockenbatterie und der Taschenlampe die noch heute wirksamen Grundlagen der Schwachstromelektrik. Seine unter dem Markennamen „DAIMON“ bekannten Kleingeräte, wie Taschenlampen, Fahrradlampen und Batterien wurden in viele Teile der Welt exportiert. Paul Schmidt war von 1910 bis 1929 der letzte private Besitzer des früheren Gutshauses in Hohenschönhausen.
In der unrühmlichen Zeit zwischen 1933 und 1945 stellten viele Hohenschönhausener Industriebetriebe Rüstungsgüter und kriegswichtige Produkte her. Während des Krieges wurden in den Betrie-ben viele ausländische Zwangsarbeiter eingesetzt. Die Zeit zwischen 1945 und 1975 war gekennzeichnet durch die Überwindung der Kriegsschäden und den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung. Der Kalte Krieg zwischen dem sozialistischem Lager und den kapitalistischen Industriestaaten überschattete diese Zeit. Auch hier spielte Hohenschönhausen eine besondere Rolle. Als 1945 die Rote Armee Berlin befreit hatte, wurde ein sowjetisches Internierungslager eingerichtet, in dem zahlreiche Sympathisanten des Nationalsozialismus, aber auch Unschuldige inhaftiert waren. Nach dessen Auflösung 1946 blieb es Haftanstalt und diente seit 1951 als Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Nach der Schließung 1990 entstand dort 1993 eine Gedenkstätte.
1970 fasste die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik den Beschluss, bis 1990 das noch immer gravierende Wohnungsproblem zu lösen. Neue Wohngebiete im Osten Berlins entstanden. Auch in Hohenschönhausen wurden neue Wohngebiete erschlossen. Bis dahin verhinderten die Rieselfelder, die bis an den Rand des Ortsteils reichten und durch den Bau der modernen Kläranlage Falkenberg ersetzt wurden, die Ausweitung Berlins nach Nordosten.
Die Mitarbeiter der Bauakademie der DDR, die ihren Sitz in der Marzahner Straße in Hohenschön-hausen hatten, entwickelten die Wohnungsbauserie WBS 70, mit der das industrielle Bauen begann. Zwischen der Leninallee (jetzt Landsberger Allee) und der Wartenberger Straße entstand ab 1976 ein neues Wohngebiet. Der teilweise Abriss des Dorfkerns von Hohenschönhausen in der Nähe der Hauptstraße war der Preis für das rasante Wachstum von Hohenschönhausen. 1984 hatte der Stadtteil schon etwa 50.000 Einwohner.
Ab 1983 errichteten Bauarbeiter aus mehreren Bezirken der DDR ein völlig neues Wohngebiet im Nordosten des Dorfkerns mit fast 30.000 Wohnungen auf ehemaligen Rieselfeldern. In dieser Zeit begann ein völlig neuer Abschnitt der Entwicklung von Hohenschönhausen. Nach der Grundsteinle-gung für das Wohngebiet „Neu-Hohenschönhausen“ am 9. Februar 1984 ergab sich die Notwendig-keit, auch eine neue Verwaltungsstruktur zu schaffen. Deshalb wurde am 1. September 1985 auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von Berlin der Bezirk Hohenschönhausen als 11. Bezirk in Ostberlin gegründet. Das ist Anlass genug, diesen Tag in besonderer Weise zu würdigen, zumal für Tausende Familien in Hohenschönhausen ein neuer Lebensabschnitt begann. Moderne komfortable Wohnungen, vor allem für junge Familien aus den engen Wohnungen der Innenstadt und aus der ganzen Republik, sorgten für den schnellen Zuzug der neuen Einwohner von Hohenschönhausen.
Neue Strukturen bildeten sich, Parteien, Vereine und Massenorganisationen nahmen ihre Arbeit auf und die Bürger halfen tatkräftig mit, ihren neuen Bezirk zu gestalten. Kennzeichnen waren die vielen bemalten Hauseingänge im neuen Stadtteil, das Engagement der Bürger in den Wohnbezirksausschüssen und bei der Gestaltung einer grünen Wohnumgebung. Am 5. Oktober 1989 wurde die letzte Platte für die Wohnbauten in diesem Gebiet gesetzt. Mit der Fertigstellung dieser Wohnungen war auch der Plan, das Wohnungsproblem als soziales Problem bis 1990 zu lösen, für Berlin tatsächlich realisiert.
Aber die Menschen wurden zunehmend kritischer, sie wollten mehr Mitsprache bei Entscheidungen, Reisefreiheit und ein Leben, das nicht allein durch gesellschaftlichen Zwang und Mangelwirtschaft gekennzeichnet ist. Die Bürger Hohenschönhausens standen in der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs 1989/90 nicht abseits und nahmen regen Anteil an diesen Veränderungen, halfen oft selbst mit, Veränderungen herbeizuführen. Wichtige Aktivitäten waren die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit und deren Haftanstalt, die Nutzung ihrer Gebäude für kulturelle Zwecke und die Umgestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens.
In den Folgejahren konnte vor allem durch das Wirken der Wohnungsbaugesellschaften die Wohnbedingungen erheblich verbessert werden. Grünzonen entstanden, die Versorgung wurde durch den Bau neuer Einkaufszentren verbessert und zahlreiche neue Eigenheime entstanden.
Aber auch die negativen Seiten des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik blieben nicht aus. Die großen Industriebetriebe wurden still gelegt, viele Menschen verloren ihre Arbeit und damit auch die soziale Sicherheit. Wissenschaftlichen und staatliche Einrichtungen wurden geschlossen oder nur teilweise weitergeführt oder ersetzt, Karrieren unterbrochen und die Bürger bei der Gestaltung des weiteren Lebensweges erheblich verunsichert.
Dem standen die positiven Veränderungen gegenüber, z. B. die Reisefreiheit, die verbesserte Versorgung und die Befreiung von Bespitzelung und Bevormundung.
Hohenschönhausen existierte nur 15 Jahre als selbständiger Bezirk, wurde 2001 mit dem Nachbarbezirk vereinigt und gehört nun als Ortsteil zum Bezirk Lichtenberg. Auch in der Zukunft wird Hohenschönhausen wachsen. Neue Industriebetriebe und Eigenheimwohngebiete ließen zu einem familienfreundlichen Ortsteil mit wachsender Einwohnerzahl werden. Es bleibt zu wünschen, dass sich die kulturellen, sozialen und sportlichen Aktivitäten, die sich auch in Hohenschönhausen entwickelt haben, in ganzer Breite für alle Einwohner wirksam bleiben. Dr. Rolf Meyerhöfer